Ernährungsberatung Connie Jimbo

Forschungslücke Frauenkörper

18.12.2023

In letzter Zeit kommt die ungleiche Behandlung von Männern und Frauen immer mehr ins Gerede. Wer nicht in einem Loch im Boden wohnt, hat das sicherlich schon mitbekommen. Dabei geht es mir hier nicht um das Gendersternchen. Meiner Meinung nach braucht es für die Gleichstellung nicht primär neue Grammatik. Wohl aber müssen verschiedene Dinge diskutiert werden, die für viele Frauen immer noch alltäglich sind. Sei es Unterschiede im Gehalt, die Ungleichbehandlung (ich als blonde Frau werde oft zuallererst von Männern als inkompetent wahrgenommen und wurde sogar einmal dafür gefeuert, dass ich nicht gehorsam alles gemacht habe, was die männlichen Chefs gesagt haben, sondern mein Fachwissen einbringen wollte und gewisse Vorgehensweisen in Frage gestellt habe) – von der #metoo-Bewegung, die 2016 aufkam, als plötzlich klar wurde, dass keine von uns in ihren Erlebnissen von sexueller Belästigung allein ist, will ich gar nicht anfangen.

Ein Blick in die Systeme der Welt offenbart schon eine gewisse Fokussierung auf die Männlichkeit: Crash-Test-Dummies sind männlichen Körpern nachempfunden, somit auch die Sicherheitssysteme in Autos. Übungspuppen für erste-Hilfe-Kurse sind männliche Oberkörper, Smartphones sind für Männerhände optimal, Frauenhände erreichen die Ecken des Displays oft nicht. Kleidung von Frauen ist dazu ausgerichtet, dass wir Handtaschen kaufen müssen, da die Kleidung oft keine oder relativ kleine Taschen hat. An Frauen gerichtete Produkte sind oft teurer als für Männer, beispielsweise Rasierer. Und so weiter. Männer sind der „Standard“ und Frauen sind die „Abweichung“.

Wo kommt hier die Wissenschaft ins Spiel?

Auch in der Forschung ist der Mann der Standard und die Frau die Abweichung. Mein Anatomiebuch, das uns von unseren Professoren an der Universität empfohlen wurde, zeigt ausschließlich die männliche Anatomie, beispielsweise beim Bewegungsapparat oder Verdauungssystem, es sei denn, es wird ein spezifisch weibliches Organ angesprochen. Themen, die nur Frauen betreffen und nicht Krebs sind – man muss fairerweise sagen, dass beispielsweise zu Eierstockkrebs und insbesondere Brustkrebs sehr viel geforscht wird – und vor allem Frauen als Probandinnen selbst sind in aller Regel unterrepräsentiert (1). Bei ähnlicher Prävalenz und Schweregrad liefert Pubmed, eine der größten Wissenschaftsdatenbanken der Welt, für erektile Dysfunktion sechsmal so viele Ergebnisse wie für das prämenstruelle Syndrom. In der klinischen Forschung gibt es nach wie vor einen Gender-Bias, also eine Verzerrung hin zum männlichen Physiologie als Standard (1,3). Die Nichtbeachtung der physiologischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen in der Wissenschaft und in klinischen Studien könnten zu wirtschaftlichen Schäden bis hin zu Todesfällen insbesondere bei Frauen führen (2). Hier liegt ein wirklich großes Problem, bei dem Frauen ebenfalls den Kürzeren ziehen, das in der Öffentlichkeit aber kaum ins Bewusstsein dringt. Die Folgen sind immens. Viele Medikamente wurden zu Zeiten entwickelt, in denen fast nur Männer die Probanden der klinischen Studien waren. In den USA wurden bereits Medikamente wieder vom Markt genommen, da sie bei Frauen so schlimme Nebenwirkungen hatten, dass ihre Anwendung nicht mehr zulässig war (2).

 

...und wo die Ernährungswissenschaft?

Jetzt ratet mal, zu was ich Probleme habe, wissenschaftliche Erkenntnisse zu finden? Richtig. Zu Ernährungsempfehlungen spezifisch für den Frauenkörper. Dass wir anders sind als Männer, hört bei der Anerkennung des unterschiedlichen Körperfettgehaltes irgendwie auf. Fast jede Frau hat während eines langen Teils ihres Lebens einen Zyklus, in dem es starke hormonelle Schwankungen gibt, sogar einen Anstieg der Körpertemperatur in der zweiten Zyklushälfte, der verursacht, dass wir 5-10% mehr Energie brauchen – bzw. vor dem Eisprung entsprechend weniger. Zumindest ein wenig mehr, wenn auch nicht viel, habe ich zur Ernährung in der Menopause und danach gefunden.

Exkurs: Die Grenzen der Hypothese

Man könnte jetzt natürlich argumentieren, der Menstruationszyklus ist ja keine Krankheit. Das stimmt, hier sehen wir zusätzlich, wie normal es ist, dass sich die klinische Wissenschaft überwiegend auf Krankheiten bezieht, und deren spezifische Prävention. Weniger auf die allgemeine Gesunderhaltung. Das liegt zum großen Teil auch in der Herangehensweise der klinischen Forschung selbst, die ist ziemlich festgelegt. Die sogenannte randomisiert-kontrollierte Studie gilt als das Maß aller Dinge, und die Meta-Analyse, eine statistische Zusammenfassung dieser Art von Studien zu einer bestimmten Forschungsfrage, als Höhepunkt der klinischen Evidenz. Also am nächsten dran an etwas, das wir „Nachweis“ nennen könnten. Tatsächlich wird in der Wissenschaft nie ein Zusammenhang abschließend nachgewiesen. Forschung muss immer wieder diskutiert und in Frage gestellt werden.

Randomisiert-kontrollierte Studien sind ziemlich aufwändig, und in der Bandbreite dessen, was man pro Studie prüfen kann, extrem eingeschränkt. Hypothesen sind die zu untersuchenden beiden gegensätzlichen Antworten auf eine Forschungsfrage. Sie stehen im Zentrum der Studie als das, was überprüft wird, anhand einer Datenerhebung und -auswertung. Sie lassen aber immer nur einen einzelnen sehr spezifischen Sachverhalt zu, sonst wird es statistisch und organisatorisch schwierig.

·        Beispiel Forschungsfrage: Senkt der regelmäßige Verzehr von Ingwer das Brustkrebsrisiko?

·        Nullhypothese: Der regelmäßige Verzehr von Ingwer hat keinen Einfluss auf das Brustkrebsrisiko.

·        Alternativhypothese: Der regelmäßige Verzehr von Ingwer senkt das Brustkrebsrisiko.

Dabei muss „regelmäßig“ noch genau definiert werden, und auch die Menge an Ingwer pro Tag oder Woche, sonst sind wir schon wieder bei einer anderen Forschungsfrage: Wird das Brustkrebsrisiko geringer, je mehr Ingwer verzehrt wird? Das wäre nochmal eine komplett andere Studie. Ich hoffe, dieses Beispiel macht ein wenig klar, wie zwar gründlich, aber dafür limitiert eine einzelne klinische Studie ist, und wie träge somit Innovationen und das Schließen von Forschungslücken.

Die ewige Problematik der Übersetzung von Wissenschaft in den Alltag

In diesem Eintrag habe ich, was Verzerrung angeht, nur die Problematik des „sex bias“ in der Wissenschaft angesprochen. Dieser lässt sich sogar auf Tierversuche übertragen, selbst dort werden oft nur männliche Exemplare untersucht (3). Aus meiner Erfahrung ist Forschung an Menschen verschiedener Ethnien ebenfalls in eine bestimmte Richtung verzerrt, das verdient nochmal gesonderte Aufmerksamkeit. Aber auch das sollte Wissenschaftlern bewusst sein: auf welche Zielgruppe soll meine Studie anwendbar sein? Passt meine Stichprobe zu dieser Grundgesamtheit? Wenn ich eine Behandlung oder Ernährungsform für alle auf den Markt bringen will, deckt meine Stichprobe dann auch die Vielfalt aller Menschen ab?

Die Problematik der Stichprobenziehung und wie (nicht-)repräsentativ sie ist, ist einer der Gründe, wieso es so viele sich widersprechende Erkenntnisse gibt. Nicht nur in der Forschung zum Thema Ernährung gibt es zu jeder Studie eine weitere mit gegenteiligem Ergebnis.

Hier sind wir auch wieder bei dem Thema, was soll ich jetzt eigentlich essen, um mich gesund zu erhalten? Die Ernährungsempfehlungen, die hierzulande von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) herausgegeben werden, beziehen sich auf die Verhinderung von Mangelerscheinungen. Die Empfehlungen als solche beziehen sich oft auf Durchschnittwerte, die auf Basis von Körperzusammensetzung und vorhandener Forschung berechnet werden. Da sie auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen, sind sie zwar fundiert, enthalten aber ebenfalls möglicherweise diese Verzerrungen. Prinzipiell sind Ernährungsempfehlungen daher als Richtung zu verstehen, aber nicht als genaue Anleitung. Jeder Körper ist individuell auch noch anders.

Oft kommen Empfehlungen für die Gesunderhaltung, auch die der DGE, auf die gleichen paar Grundregeln zurück. Viel Obst und Gemüse, viel Ballaststoffe, ausreichend Wasser, wenig Zucker und wenig verarbeitete Lebensmittel.

Coming soon: was habe ich denn zu Ernährung und Frauenkörper gefunden?

Ich bin in diesen Eintrag mit der Recherche gestartet, was für Erkenntnisse es gibt für eine empfohlene Ernährung entlang des Menstruationszyklus. Zuerst zu beleuchten, welche Limitationen die moderne Wissenschaft unterworfen ist, war mir aber jetzt erstmal wichtiger zu kommunizieren. Was ich zum Thema Ernährung entlang des Menstruationszyklus und danach herausgefunden habe, das verdient einen eigenen Blogeintrag. Der kommt als nächstes. Viel war es allerdings nicht. Die meiste aktuelle Forschung bezieht sich erstmal auf die Bestandsaufnahme, wie ernähren sich Frauen überhaupt von sich aus entlang des Zyklus (Beispiele Quellen 4 und 5)? So neu ist dieses Thema für die Forschung. Das narrative Review (5) ist von diesem Jahr. Als wäre die Menstruation ein modernes Phänomen, das in den letzten Jahren erst entstanden ist.

(1)    Yoon DY, Mansukhani NA, Stubbs VC, Helenowski IB, Woodruff TK, Kibbe MR. Sex bias exists in basic science and translational surgical research. Surgery. 2014 Sep;156(3):508-16. doi: 10.1016/j.surg.2014.07.001. PMID: 25175501.

(2)    Lee SK. Sex as an important biological variable in biomedical research. BMB Rep. 2018;51:167–173

(3)    Zucker I, Beery AK. Males still dominate animal studies. Nature. 2010 Jun 10;465(7299):690. doi: 10.1038/465690a. PMID: 20535186.

(4)    Gorczyca AM, Sjaarda LA, Mitchell EM, Perkins NJ, Schliep KC, Wactawski-Wende J, Mumford SL. Changes in macronutrient, micronutrient, and food group intakes throughout the menstrual cycle in healthy, premenopausal women. Eur J Nutr. 2016 Apr;55(3):1181-8. doi: 10.1007/s00394-015-0931-0. Epub 2015 Jun 5. PMID: 26043860; PMCID: PMC6257992.

(5)    Rogan MM, Black KE. Dietary energy intake across the menstrual cycle: a narrative review. Nutr Rev. 2023 Jun 9;81(7):869-886. doi: 10.1093/nutrit/nuac094. PMID: 36367830; PMCID: PMC10251302.

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