Ernährungsberatung Connie Jimbo

Wieso essen wir mehr als wir brauchen?

Mittlerweile übersteigt die Zahl der Adipösen, also krankhaft Übergewichtigen, die Zahl der hungernden Menschen auf der Welt: ca. 810 Millionen Adipöse, davon 650 Millionen Erwachsene sowie knapp 40 Millionen Kinder unter 5 und 124 Millionen über 5 Jahren(1), kommen auf 750 Millionen Hungernde(2).

Das liegt aber jetzt nicht daran, dass eine adipöse Person „halt zu viel isst“. Natürlich ist das stark vereinfacht die Ursache, lässt aber viel zu viele Rahmenbedingungen außer Acht. So gut wie niemand entscheidet sich, „ich werde jetzt mal so dick wie möglich“. Was führt zu einer Nahrungsaufnahme, die so hoch ist, dass alle Regulationsmechanismen versagen?

Oft hat das psychische Gründe. Diese sind hoch individuell, beispielsweise eine durch ein Trauma verursachte Essstörung oder Esssucht, und lassen sich in einem Blogeintrag nicht verallgemeinern.

Eine wichtige Rolle hat aber auch die Industrie und das ist unser Thema für heute.

Es gibt nämlich ganze Forschungsgebiete, wie das Neuromarketing, die sich damit beschäftigen, welche Zuckergehalte und Fett-Salz-Verhältnisse, welches Ausmaß an „Knackigkeit“ und welche Musikbeschallung im Supermarkt unsere Kaufentscheidungen am besten beeinflusst.

„hyperpalatable foods“: Lebensmittel, die süchtig machen

In der Forschung wurde neuerdings der Begriff „hyper-palatable foods“ eingeführt, was so viel bedeutet wie „super ansprechende Lebensmittel“. Das Forscherteam um Tera Fazzino (2019) bemühte sich um eine Definition, und kam zu dem Schluss, dass in diesen Lebensmitteln eine der folgenden Kombinationen in einem bestimmten Mindestverhältnis vorkommt (3):

  • Fett und Salz
  • Fett und Zucker
  • Kohlenhydrat und Salz
 

Um die gewünschten Eigenschaften der Lebensmittel zu erreichen, müssen sie verarbeitet werden. In der Natur kommen selten bis nie Lebensmittel vor, die gleichzeitig viel Fett und Zucker enthalten. Tatsächlich bestimmen mittlerweile stark verarbeitete Lebensmittel den Markt, besonders in Ländern mit hohem Einkommen. (4)

Diese Kombinationen sind deshalb für uns so ansprechend, weil sie unser Belohnungssystem anregen. Dadurch lässt sich mit solchen Lebensmitteln auch viel Geld verdienen. Unter bestimmten Umständen können sie sogar süchtig machen: in diversen Studien wurde eine Ähnlichkeit in der Gehirnfunktion bei Drogensucht und zügellosem Essen beobachtet (5), hochkalorische Lebensmittel mit wenig Vitaminen haben dabei ein besonders großes Suchtpotenzial. (6)

„obesogenic environments“: Umgebungen, die Übergewicht und Adipositas begünstigen

Wir müssen uns heutzutage nicht besonders viele Gedanken machen, ob wir genug zu Essen haben. Im Gegenteil, die Auswahl ist oft so riesig, dass sie geradezu zum Überfressen einlädt. Überall stehen Verlockungen herum. Ich erinnere mich noch an mehrere Automaten mit Süßigkeiten, die in meiner Schule damals in der Aula standen.

Das sieht man ja auch im Supermarkt: der ganze Einkauf ist ein Erlebnis, im Hintergrund läuft Musik, durch verschiedene Werbesprüche wird suggeriert, dass das stark verarbeitete Lebensmittel super vorteilhaft und gesund für uns ist. Die EU hat zwar durch verschiedene Verordnungen gegengesteuert und versucht, Etiketten und Informationen möglichst transparent und eindeutig zu gestalten. Durch geschickte Wortwahl oder bestimmte Bilder, Farb- und Schriftarten lässt sich das aber relativ leicht umgehen.

„Neuromarketing“: aus der Werbung direkt in die Gehirnzellen

Bei Neuromarketing handelt es sich um eine Art von Werbung, die Menschen zum Kauf bestimmter Marken und Produkte konditionieren soll, indem sie Bedürfnisse und Emotionen anspricht. Beispielsweise durch geschickt formulierte Aussagen und Slogans, oder dadurch, dass eine prominente Person mit einem bestimmten Image Werbung für das Produkt macht. Neuromarketing ist ein großes, komplexes Forschungsgebiet. Bei Lebensmitteln richtet sich diese Taktik auch, wenn nicht sogar besonders an Kinder. (6)

Die Folge: Wir essen ohne Hungergefühl

All diese verschiedenen Mechanismen können dazu führen, dass wir auch dann essen, wenn wir eigentlich keinen Hunger mehr haben. (6) Tatsächlich achten die wenigsten von uns noch auf unser Hungergefühl, während wir täglich von Informationstechnologien umgeben sind, die auch als Kanäle für Marketing benutzt werden können. Im lauten Alltagsrauschen der modernen Welt ist es manchmal schwierig, uns selbst mit unseren natürlichen Bedürfnissen zu hören und wahrzunehmen.

Ich konnte mit diesem Eintrag auch nur an der Oberfläche kratzen, was für verschiedene Taktiken in der Industrie angewendet werden, um mehr Produkte zu verkaufen. Wichtig ist, sich dieser Mechanismen bewusst zu werden. Das ist der erste Schritt. Im nächsten Eintrag werde ich darauf eingehen, was wir konkret tun können, um uns und auch unsere Kinder aus dieser Konditionierung aufzuwecken und zu lernen, mehr auf unseren Körper als auf die Werbung zu hören – und nur das zu essen, was wir auch wirklich brauchen.

Literatur

1: World Obesity Atlas 2022. World Obesity Federation. London: 2022

2: FAO, IFAD, UNICEF, WFP and WHO. 2023. The State of Food Security and Nutrition in the World 2023. Urbanization, agrifood systems transformation and healthy diets across the rural–urban continuum. Rome, FAO

3: Fazzino TL, Rohde K, Sullivan DK. Hyper-Palatable Foods: Development of a Quantitative Definition and Application to the US Food System Database. Obesity (Silver Spring). 2019 Nov;27(11):1761-1768. doi: 10.1002/oby.22639. PMID: 31689013.

4: Monteiro CA, Moubarac JC, Cannon G, Ng SW, Popkin B. Ultra-processed products are becoming dominant in the global food system. Obes Rev. 2013 Nov;14 Suppl 2:21-8. doi: 10.1111/obr.12107. PMID: 24102801.

5: Morin JP, Rodríguez-Durán LF, Guzmán-Ramos K, Perez-Cruz C, Ferreira G, Diaz-Cintra S, Pacheco-López G. Palatable Hyper-Caloric Foods Impact on Neuronal Plasticity. Front Behav Neurosci. 2017 Feb 14;11:19. doi: 10.3389/fnbeh.2017.00019. PMID: 28261067; PMCID: PMC5306218.

6: Berthoud HR. The neurobiology of food intake in an obesogenic environment. Proc Nutr Soc. 2012 Nov;71(4):478-87. doi: 10.1017/S0029665112000602. Epub 2012 Jul 17. PMID: 22800810; PMCID: PMC3617987.

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